Parallele Störungen im Miteinander

Zweimal synchroner Tanz : Mathilde Monnier und der Künstlerzwilling deufert + plischke

Wenn sich zwei Vertreter der wichtigsten Positionen der französischen und der deutsche zeitgenössischen Choreografie in ein gemeinsames Verhältnis setzen lassen, dann ist das besonders spannend für die europäische Tanzszene : Mathilde Monnier und der deufert + plischke. Monnier beschäftigt sich in « tempo 76 » mit dem Phänomen des Synchrontanzens.
Und für deufert + plischke ist das Sich-Synchronisieren Grundlage für ein umfangreiches Programm, das sie in ihren « reportable portraits » fortsetzen. Geboren 1959 in Mühlhaussen im Elsass, begann Mathilde Monnier ihre Karriere als Tänzerin mit 19 Jahren bei Viola Farber, die in den 1950er- und -60er Jahren mit Merce Cunningham und dem Franzosen François Verret gearbeitet hatte.
Ihre ersten, vom Dadaismus inspirierten choreografischen Arbeiten entstanden 1984, ein Jahr später gründete sie ihre eigene Company. Seit 1994 leitet Monnier das Centre Chorégraphique National de Montpellier. Zu ihren wichtigsten Werken zählen « Pour Antigone » (1993), « Déroutes » (2002) oder, « Publique » aus dem Jahr 2004, in dem die renommierte französische Regisseurin Claire Denis das schöne und eigenwillige Porträt « Vers Mathilde » drehte, in dem unter anderem Auch Monniers Zusammenarbeit mit dem Philosophen Jean-Luc Nancy dokumentiert ist.


Lange verpönt

Wenn sie sich nun mit der Synchronität im Tanz beschäftigt, dann nicht, um ein Revival dieses im zeitgenössischen Kontext lange verpönten, wenn auch immer wieder zitierten Stilmittels zu zelebrieren, sondern eher, um die Illusion dieses Unisono kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Was im Showtanz und Ballett der Nivellierung des Individuums oder dem Betonen eines Motivs dient, trägt ein zugespitztes Zeichenrepertoire in sich. Dieses wird in « Tempo 76 » umformuliert und zur Musik von György Ligeti in Zusammenheng mit den Stimmigkeiten und Störungen im gesellschaftlichen Miteinander gebracht. Für ein Miteinander haben sich der Choreograf Thomas Plischke und die Theoretikerin, Regisseurin und Videokünstlerin Kattrin  Deufert 2001 entschlossen.
Aus dem Label « frankfurter küche » wurde der « artisttwin » deufert + plischke. Die Idee, zwei Identitäten synchron zu schalten, ist kein Gag, sondern ein konsequenter künstlerischer und philosophischer Selbstversuch. Die Figur des Zwillings hat Tradition – vor allem in der bildenden Kunst und Performance-Art : mit dem Twin Gabriel oder Bigert & Bergström, Christine & Irene Hohenbüchler und anderen im Gefolge alterer Paare, vor allem Gilbert & George, Eva & Adele oder Pierre & Gilles.
Auch in der Choreografie finden sich Künstlerpaare wie José Montalvo und Dominique Hervieu oder Emio Greco und Pieter C. Scholten (EG / PC), die sich aber nicht in einer gelebten und performativen  Überlappung sehen, wie das deufert + plischke tun. Thomas Plischke hatte von 2001 den höllenheissen Pfad eines gehypten Jungchoreografen genommen und war nach einer ästhetischen Reorrientierung zusammen mit Deufert sehr in Ruhe gelassen worden. Wohl irrtümlich, denn der Zwilling arbeitete zwar verhaltener und mit einem Hang zur Melancholie, dafür gelang es ihm aber, mit grosser Sorgfalt private, politische und poetische Elemente zu einer Investigation über Gender und Identität zu verbinden.
In « reportable portraits » arbeiten deufert + plischke mit dem Komponisten Hubert Machnik und dem Fotografen und Bühnenbildner Hermann Sorgeloos zusammen : Fünf Tänzer befassen sich mit Formen und Funktionen des (Selbst-) Porträts, mit fiktiven Autobiografien, Mythen und – dem Terrorismus.

Helmut Ploebst